Das Mephisto-Projekt

mephisto?mephisto! Ein Denkansatz

 

Mephisto ist eine der interessantesten Theaterfiguren der Theatergeschichte, von Goethe im „Faust“ als höllischer Gegenpart der progressorientierten (der irdischen Notwendigkeit unterworfenen) Gutmenschen oder Pseudogutmenschen gegenübergestellt.

Mephisto ist der unberechenbare Infragesteller, Beeinflusser, Verführer und Zweifler.

Die Überwindung des Mephisto wäre prima, scheint aber unmöglich.

 

In modernen Theater-Inszenierungen wechselt Mephisto die Identität, er ist beliebig zuordenbar. Er, der Verführer und Unruhestifter, ist ein Rollenspieler aber auch Rollenwechsler, jeder darf oder besser muss mal Mephisto sein oder Mephisto werden. Fast jeder von uns fragt sich, welcher Anteil Mephisto wohl in ihm selbst steckt. Der psychische Charakter des Störers und Borderliners Mephisto ist durchaus ein menschlicher, uns alle betreffender Impuls, in uns allen als bedrohlicher psychischer Anteil latent angelegt...

 

Wohl dem, der spielerisch mit solchen psychischen Einflussgebern umgehen kann. Letztlich ist es auch eine spielerische Aufgabe für den Künstler, mit diesem Mephisto umzugehen und daran und damit zu arbeiten...

 

Wie sieht es denn mit anderen interessanten Theaterfiguren aus?

 

Auch andere Theaterfiguren hauen in die Kerbe des latent Bösen. Unsere individiduelle Betroffenheit ist beliebig aktivierbar. Üben nicht beispielsweise die shakespearesken Monologe Richards des Dritten, der durchaus geistesverwandt mit Mephisto erscheint, eine seltsame Faszination auf uns aus? Natürlich möchte sich nicht jeder immer mit diesen „bad boys“ des Theaters beschäftigen.

 

Aber es gibt ja auch andere Literatur- und Theaterfiguren: Mephistos Gegenspielerin Gretchen zum Beispiel und/oder a l l e anderen historischen Theaterfiguren dieser Welt sind Thema der künstlerischen Auseinandersetzung und damit der projektierten Ausstellung ...

Günther Sommer

Klaus Bushoff, der ans Sterben denkende Ledermensch

Armin Elhardt, Mephistos Fluch

oder der Ledermensch Kain


Armin Elhardt

Der Ledermensch Kain in Jean Pauls Roman „Der Komet“.

Eine Skizze in Worten

 

Goethe musste zwischen 1798 und 1800 seinen Wohnort Weimar (sprich Rom) mit einem Chinesen (sprich Jean Paul) teilen. Nicht frei von Missgunst und Neid auf den Erfolg* des jungen Erzählgenies verfasste der Dichter aus dem Haus am Frauenplan ein zehnzeiliges Schmähgedicht:

 

Der Chinese in Rom

 

Einen Chinesen sah ich in Rom; die gesamten Gebäude

Alter und neuerer Zeit schienen ihm lästig und schwer.

"Ach!" so seufzt' er, "die Armen! ich hoffe, sie sollen begreifen,

Wie erst Säulchen von Holz tragen des Daches Gezelt,

Daß an Latten und Pappen, Geschnitz und bunter Vergoldung

Sich des gebildeten Aug's feinerer Sinn nur erfreut."

Siehe, da glaubt ich, im Bilde so manchen Schwärmer zu schauen,

Der sein luftig Gespinst mit der soliden Natur

Ewigem Teppich vergleicht, den echten, reinen Gesunden

Krank nennt, daß ja nur er heiße, der Kranke, gesund.

 

Goethe hatte damals schon Faust und Mephisto im Kopf, aber keine Ahnung davon, dass auf der literarischen Bühne seine dramatische Mephistofigur einen epischen Mitspieler erhalten würde. Und zwar im letzten Roman des erzählerischen Überfliegers und Konkurrenten Jean Paul: „Der Komet oder Nikolaus Marggraf. Eine komische Geschichte“, die das Mephistophelische in der Zerrissenheit des Ledermenschen Kain komplex und ernsthaft aufzeigt.

Ines Scheppach, Ledermensch 

 

Ulla Haug-Rößler, Kain im Kamin


Die Titelfigur Marggraf hält sich in einem närrischen, wahnähnlichen Zustand für den Sohn eines Fürsten und begibt sich unter Pseudonym nach Rom, einer Stadt in Kleindeutschland, deren Bewohner sich nicht Römer heißen, sondern Romer. Dort will Marggraf den fürstlichen Vater suchen. Aber! Der psychisch Malträtierte a la Don Quixote wird bedroht von einem anderen, sehr seltsamen Mann: dem Ledermenschen, so genannt, weil er sich vollständig in Leder kleidet. Auf der Stirn trägt er das Zeichen Kains, eine rote Schlange. Gerät er in Wut, stehen ihm die Haare zu Berge und sträuben sich zu Hörnern. Tagsüber taucht er meist im Nebel auf, spricht Gutes zu den Frauen („Nur ihr seid schön“) und verschwindet wieder im Nebel. Die Stadtmenschen nennen ihn den ewigen Juden. Nach Walter Harich handelt es sich um „einen Wahnsinnigen, der in dem Teufel den Herrn der Welt sieht und seine Macht verkündet. Niemand hat den Ledermann essen und trinken sehen. Nachts dringt er durch Dach und Schornstein in die Häuser ein und nährt sich aus fremden Küchen. Besonders hat er es auf Fürsten abgesehen. Heilig sind ihm nur die Frauen, denen er nichts tut und zu denen er mit liebreicher Stimme spricht.“**

 

Der Roman bricht ab mit einer großen Rede dieser Mephisto ähnlichen Figur. Der Ledermensch spricht von seiner Sehnsucht, in die Hölle zu kommen, denn dort sind seine Verwandten, die Tierseelen, zu Hause. Den Menschen gibt er zu bedenken: »Rechnet einmal eure Nächte in Einem Jahr zusammen und seht in der 365sten nach, was euch von den langen Traumaffären auf dem Kopfkissen, von den Schlachten, den Lustbarkeiten, den Menschengesellschaften und Gesprächen und den langen, bangen Geschichten zurückgeblieben? Kein Federchen und kein Lüftchen; – und nun rechnet noch euere 365 Tage dazu: so habt ihr eben so viel, und der Teufel lacht und herrscht in euern Nächten und in euern Tagen; aber ihr wisst es nicht. [...] Es ist närrisch auf der Erde« sagt er, »soeben entschlaf' ich***«, worauf er in den Kamin des Zimmers steigt und diesen von innen hochklettert. Den Anwesenden erklingt seine Stimme nun völlig verändert: lieblich und herzlich, sanft und mild. Man möge ihm vergeben, dass er den Anblick der guten Menschen nicht ertrage. „In seiner Studierstube wäre er alles Böse durch Denken gewesen: Mordbrenner, Giftmischer, Gottleugner, vertretender Herrscher über alle Länder und alle Geister, innerer Schauspieler von Satansrollen. Für diese Sünden werde er jetzt bestraft.“ (Harich)

 

Die letzten Worte im Roman gehören dem Ledermenschen Kain: „Jetzo lieb' ich euch Sterbliche alle so herzlich und kindlich und hasse niemand auf der Welt. – Ich habe in meinem Herzen dich, unendlicher Gott der Liebe, wieder, der in alle tausend tiefen Wunden der Menschen wärmend niedersieht und endlich die Wunde nimmt oder den Verwundeten. O Gott der Liebe, lasse dich fortlieben von mir, wenn ich erwache. Die schreckliche Stunde steht schon nahe, trägt mir meine Furienmaske entgegen und deckt sie auf mein Gesicht! – Vater der Menschen, ich bin ja auch dein Sohn und will dir ewig gehorchen; Vater, verlaß mich nicht, wenn das Glöckchen läutet« .....

Eben schlug es drei Uhr, und man hörte nur noch sein Weinen, und jede Seele weinte innerlich mit. Plötzlich erklang das Kindtaufglöckchen, und der Unglückliche stürzte aufgewacht herab. Gesicht und Hände waren geschwärzt, die Haarbüschel sträubten sich zornig empor, auf der geschwollnen Stirnhaut ringelte sich die rote Schlange wie zum Sprunge, und er rief freudig: »Vater Beelzebub, ich bin wieder bei dir; warum hattest du mich verlassen?«

Alle traten weit von ihm hinweg, nicht aus Furcht, sondern vor Entsetzen.

 

Ende des Romans. Sein Verfasser der „Chinese in Rom“? Aber nein doch, verfasst hat es Johann Paul Friedrich Richter, genannt Jean Paul. Nach dem Tod seines Sohnes fehlte ihm die Kraft für das Komische. Das 473-seitige Werk blieb Fragment.

 

 * Jean Paul, Sämtliche Werke, Abteilung I, Band 6, Der Komet oder Nikolaus Marggraf. Eine komische Geschichte, Zweitausendeins (Lizenzausgabe 1996), © 1963 Carl Hanser Verlag München

** Jean Pauls Roman Hesperus schlug heftiger ein als Goethes Werther und machte seinen Verfasser zum beliebtesten Schriftsteller seiner Zeit

 *** Walther Harich: Jean Paul. Eine Biographie, Leipzig 1925

Günther Sommer, JP blau mit Ledermensch

Horst Peter Schlotter, Studie Ledermensch 1


Reinhard Brunner

 

Mephisto

 

Im Gegensatz zu den radikal abstrakten Ansätzen seiner Malerei, - für Reinhard Brunner das eigentliche Zentrum seines künstlerischen Schaffens -, beschreibt die Auseinandersetzung mit dem Thema „Mephisto“ einen Ausflug ins Gegenständlich-Illustrative und somit auch eine Rückbesinnung auf das ursprünglich gegenständlich zeichnerische Oeuvre seines Frühwerks.

 

Über Goethes Faust wurde Mephisto zum aufklärerischen Kristallisationspunkt eines menschlichen Moralbewußtseins, das den Kampf zwischen den 2 Seelen in einer Brust, zu einem der großen allgemeinen Themen der Menschheit stilisiert, dass bis heute nicht an Aktualität und Brisanz nicht verloren hat.

 

So entstand eine mehrteilige, „mephistophelische“ Portraitserie, die auf die üblichen „teuflischen“ Attribute (Horn, Huf, Ziege etc.) verzichtet und mit den Farben Schwarz, Weiß, Rot, die inneren Spannungsverhältnisse und Kämpfe gegen Verführungen, also die individualisierte Konstitution eines sich ständig ändernden gesellschaftlichen Moral-Konstrukts, zeichnerisch/malerisch digital bearbeitet und illustriert. 

„mephistophelische“ Portraitserie, Reinhard Brunner

Klaus Bushoff

 

Mephisto 

Mephista
Mephista

 – Irgendwann, aber ganz sicher, wird ein jeder verteufelt von irgendwelchen ANDEREN. Anstatt den Andersmeinenden einfach links- oder rechts liegen zu lassen oder mit ihm „Gemüsequatschen“ zu betreiben, wird dieser und jener zur Eigenprofilierung aufgeputscht als Mephisto, als Repräsentant des Bösen. Die selbstverliehene Gloriole des Guten wird – medial elektrifiziert – grell beleuchtet, sodass das Schattengegenüber noch bedrohlicher wird.

Naja: Auf der Bühne des Lebens spielt der Beleuchtungsingenieur eine große Rolle... Hauptsache, er knipst den Schein-Werfer auf sich als Theatermann zuerst an. 

Höllisches Vergnügen, Klaus Bushoff

Armin Elhardt

 

Aus Goethes Kindertagen

Dramatische Liebesgeschichten und ihre Entstehung

 

3. Teil: Von der Idee auf die Bühne

 

Die Szene – nachgestellt von Schauspieleleven und Welpen aus Stuttgart-Botnang – zeigt den Jungdramatiker Johann W. Goethe hinter, auf und vor den Brettern, die ihm später die Welt bedeuten sollten. Gerade gibt er den Mitspielern seines Karrentheaters in einem briefing den plot bekannt zu einer love story, in der es mit dem Teufel so zugeht wie ohne oft auch.

Text: Armin Elhardt, Bild: N.N. (Postkarte)

Ubbo Enninga

 

Monolog mit Engel

 

Noch entsteht nichts ohne Wirkung, und Wirkungen sprechen für die Zukunft. Fragen sind Schlüssel, die uns ungeahnte ferne Räume erschließen, dort wo wir Menschen so tief im Rätsel verhüllt sind. Ein Bildhauer arbeitet auf der Bühne an einem Portrait eines Schauspielers, der sich monologisierend bemüht, mit dem inneren Gedankenchaos zurechtzukommen. Dessen Thema sind die Gedanken und die Sprache, die er verzweifelt versucht in ein klares Verhältnis zu setzen, mit der Hoffnung, dass sich über das geklärte Denken der Engel bemerkbar machen könnte. Das gleichnamige Werk ist ein eigenständiges Ergebnis des Bühnenprojektes.

Monolog mit Engel